C H I N A

Xinjiang und Sichuan

China - Sichuan

auf dem Tibet Highway

Da es uns nicht erlaubt ist mit dem Fahrrad in China einzureisen, mussten wir schon im Voraus einen Transport organisieren, welcher uns am ersten chinesischen Checkpoint abholt. Tatsächlich lenken die Behörden ihre Aufmerksamkeit erst nach Eintreffen unseres Guides mit Wagen auf uns. Wie es sich in China so gehört, stellen sich alle anwesenden Uniformierten nach dessen Eintreffen, sauber und ausgerichtet auf einer Linie vor uns auf. Wir fragen uns gerade ob sie uns ein Willkommens-Ständchen vorsingen wollen, als sie rechts umkehrt machen und im Stechschritt zur Kantine marschieren. Naja, dann warten wir eben noch ein Stündchen.

Zufrieden und gesättigt kommen die Herren von ihrer Pause zurück und nehmen unser Gepäck unter die Lupe. „Knife?“ diese Frage richtet der zuständige Beamte an Christoph. „Yes!“ Ist die Antwort. Also Tasche auspacken, Dolch abgeben und warten. Das grosse Hin und Her beginnt, Telefonate werden getätigt, forensisch wird der Dolch auf Blutspuren untersucht. Dann schnell eine Unterschrift auf ein Papier wo die Schrift für uns nicht annähernd zu entziffern ist und wir dürfen weiter, mit dem Hinweis, das Messer beim nächsten Checkpoint, der eigentlichen Grenze, erneut vorzuweisen. Dort wird entschieden ob der Dolch eingeführt werden darf oder nicht.

Nach gut zwei Stunden Fahrt erreichen wir den Ort der Entscheidung. Erst aber wird nochmals alles Gepäck ausgeladen und durchleuchtet. In der Immigrationshalle sehen wir wie der Dolch von einem Büro ins nächste gereicht wird und Christoph muss wiederum Fragen zum Sinn und Zweck des Dolches beantworten. Der Dolch darf schliesslich nicht eingeführt werden, so will es das Gesetz. Doch was soll‘s, wir haben es geschafft und sind drin, in Xinjiang, der westlichsten der chinesischen Provinzen. Xinjiang ist die Heimat der Uiguren. Dieses Zentralasiatische Volk ist muslimischen Glaubens, ihre Sprache türkischen Ursprungs.

Kashgar, einst wichtiger Knotenpunkt der Seidenstrasse und heute wie jeher Ort kultureller Konflikte und Unruhen, ist unsere erste Destination. Staubig ist die Luft, anders sind die Menschen, abwechslungsreich das Essen. Hunderte von Elektroscooter füllen die Strassen, alles ist neu, alles ist aufregend.Wir hören dass der Nachtmarkt etwas spezielles sein soll, das wollen wir genauer wissen und nehmen uns diesen unter die Lupe. Auf dem Nachtmarkt geht es nur ums Essen, von Wassermelone über Reis bis hin zum gehäuteten Schafskopf gibt es hier alles für den Gaumen. Unser Aufenthalt in Kashgar ist nur für kurze Zeit. Da unsere Aufenthaltsdauer in China beschränkt ist, legen wir einen Teil der Strecke mit dem Zug zurück. Die Fahrt nach Chengdu dauert bescheidene drei Tage, wir sind gespannt wie das sein wird und wir freuen uns auf die nächste grosse Stadt. Das einchecken am Bahnhof kommt jenem am Flughafen sehr nahe. Als nach dem Durchleuchten des Gepäcks bereits wieder eine Tasche von Christoph bei den Behörden steht und bereits wieder die Frage „Knife?“ an ihn gerichtet wird, ist die Freude nicht gerade gross. „No Knife!“ die Antwort, bleibt jedoch wirkungslos. Drei Polizisten stürzen sich wie Geier über seine Tasche und untersuchen alles nach chinesischer Manier. Als sie dann die Box mit dem Veloreparaturmaterial unter die Lupe nehmen, geht es so richtig los. Das Problem besteht nämlich darin, dass die kleinen Leimtuben des Reifenflickzeugs ein Leichtentflammbar-Zeichen aufgedruckt haben und somit sind die Leimtuben nach chinesischem Gesetz zur Mitnahme im Zug verboten. „This is our rule“ und „you are in our Country“ sind Sprüche bei denen es Christoph beinahe die Zehennägel einrollt. Stinksauer entreisst er dem Polizeichef das Veloreparaturzeugs und Packt alles wieder ein. Wie durch ein Wunder wird dies von der Polizei akzeptiert und wir dürfen einsteigen, diesmal ohne Materialverlust. Unsere grosse Schadenfreude ist jene, dass sie die beiden vollen Benzinflaschen, die wir zum Kochen brauchen, in den anderen Taschen nicht gefunden haben.

Wie gesagt, sitzen wir nun drei Tage im Zug, zwei davon fahren wir entlang der Wüste, als wir am dritten Tag erwachen sind wir umgeben vom dicken Nebel und grünen Wäldern soweit das Auge reicht, dieses reicht hier sowieso nicht weit, weil wir durch ein Tal fahren und uns eben dieser Nebel umgibt.

Chengdu, Hauptstadt der Provinz Sichuan und ist für uns eine bombastische Stadt, ihr Puls vibriert. Es macht Spass im Strom der aberhunderten Elektroscootern mitzufahren und diese Stadt zu erleben.

„Some like it hot“, es gibt wohl kaum etwas schärferes als die feurigen Aromen Sichuans. Angefangen mit dem legendär scharfen Hühnchen mit Erdnüssen. Falls danach die Ohren noch nicht qualmen, darf es vielleicht der in Chili eingelegte Fisch (shuizhu yu) sein, um endgültig Feuer zu speien. Oder man läuft bei einem vulkanähnlichen Chongqing-Feuertopf zur Höchstform auf und gibt sich den Ultimativen Kick. Denn dieser Topf hält was sein Name verspricht, scharf gewürzt und brodelnd wie ein Vulkan. Gespickt mit dem von den Sichuanesen geliebten Blumenpfeffer oder anders genannt auch als Sichuanpfeffer bekannt. Dieses pfefferähnliche Kraut wirkt im Mund nahezu wie ein Lokalanästhetikum.

Nachdem auch unsere Fahrräder per Bahnpost in Chengdu eingetroffen sind, fahren wir einen vollen Tag bis wir die Stadt und ihre Vororte hinter uns lassen. Beim Abendessen in einer Kleinstadt geniessen wir den Shuizhu yu Fisch. Als uns die chinesischen Tischnachbarn einladen mit ihnen ein Glas 50 %-igen Wein zu trinken, kann Christoph nicht verneinen und kippt das Glas in einem Schluck hinter die Kiemen, dasselbe macht er dann auch mit einem Zweiten. Die Chinesen freuen sich sehr darüber und fragen ob wir Russen sind.

Seit unserer Ankunft in Chengdu zeigt sich der Nebel hartnäckig und begleitet uns noch bis auf den ersten 4500 Meter hohen Pass. Wir sind unterwegs in Richtung des Tibetischen Plateaus. Wir fahren durch einen mystischen Regen- und Nebelwald, der bis auf 4000 Meter reicht und Heimat der letzten rund tausend freilebenden Pandas ist. Auf der anderen Seite des Passes geht es hinunter durch herrliche im Herbst liegende Landschaften. Sieben Tage nach Abreisen in Chengdu, befinden wir uns in Tagong. Tagong ist 3700 Meter hoch gelegen und umgeben von wunderschönen Graslandschaften mit Wiesen welche mit Enzian und Edelweiss übersät sind und auf welchen Yacks grasen und friedlich vor sich her grunzen.

In Tagong verabschieden wir uns nach genau einem Monat gemeinsamen strampelns von Jeanine und Dominik, sie fahren weiter nach Xichang in den Süden, während wir in den Westen nach Litang fahren. Nach Litang bringt uns der Tibet-Highway.

Schon Tage zuvor haben uns chinesische Touristen Fotos von dem Highway gezeigt und vor dem schlechten Zustand der Strasse gewarnt. Das ist sie in der Tat, der Regen welcher in den letzten Tagen immer wieder mal gefallen ist und der rege Schwer- und Touristenverkehr haben die Strasse in ein Schlamm- und Matschinferno verwandelt. Nach 160 km geben wir auf, die Räder sind blockiert es geht nichts mehr. Ein Minibus nimmt uns die restlichen 80 km mit und braucht satte 4h für diese Strecke.

Litang ist staubig und stinkig, da unser Visa in wenigen Tagen ausläuft, müssen wir nach Kanding, um es zu verlängern. Das bedeutet 280 km Fahrt und 12 Stunden schmerzvolle Schüttelpartie im Minibus erneut über den Tibet-Highway zurück. Die Fahrräder stellen wir im Hotel in Litang ein, da wir von dort aus weiter nach Shangri-La fahren wollen. Da es in den letzten Tagen nicht geregnet hat, ist die Strassen jetzt trocken. Wir fragen uns, was wohl besser ist für Radfahrer, der Matsch oder der getrocknet Dreck welcher nun als Staub in der Luft liegt und einem das Atmen selbst im Fahrzeuginnern schwer macht. Fünf Tage später sind wir zurück in Litang mit einer 30-tägigen Verlängerung unseres Visas.

Durch wunderschöne Landschaften und über atemberaubende und Atem raubende Pässe führt uns der Weg die rund 400 km nach Shangri-La. Wir bewegen uns in Höhen zwischen 3000 m und 4700 m. Durch herrliche Herbstwälder die bis in eine Höhe von 4200 Meter reichen geht es durch felsig-hügelige Landschaft rauf und runter. Schneeberge sind nur selten und wenn, dann in weiter Ferne zu sehen. Wir kommen aus dem Staunen über die herrlichen Wälder, die Seenlandschaften auf den Hochebenen und die in märchenhafte Täler eingebetteten Flüsse nicht mehr raus. Wir zelten jede Nacht und erwachen jeden Morgen in frostiger Umgebung.

Eines Nachts, es ist saukalt, wir übernachten auf 4300 Metern und finden keinen Schlaf (wir sind uns nicht sicher ob es am vielen Kaffee oder an der Höhe gelegen hat). Plötzlich hören wir in der Ferne ein Geräusch. Wir überlegen ob es das Heulen eines Motors oder das Muhen einer Kuh ist, wobei es in dieser Höhe keine Kühe gibt sondern nur Yaks und diese Grunzen. Als wir etwas später, gerade beim 471-igsten Schaf mit zählen angelangt sind, hören wir das Geräusch erneut. Diesmal aus verschiedenen Richtungen und Näher. Das sind Wölfe! Das Schafe zähen lassen wir in diesem Fall mal lieber bleiben. Christoph macht sich noch Sorgen um die zwei Kilogramm geräucherten Speck in seiner Tasche im Vorzelt, danach schlafen wir beide friedlich ein.

Nach acht Tagen Radfahren in atemberaubend schöner Wildnis treffen wir in Shangri-La ein.

Zur Klärung dieses mystischen Namens:

1933 erschien der Bestseller „Der Verlorene Horizont“ des Autors James Hilton der später erfolgreich verfilmt wurde. In der Geschichte geht es um einen utopischen Ort namens Shangri-La. Hiltons Roman zufolge erreicht Shangri-La „...wer viele Monate von Peking nach Südwesten reist und es befindet sich einige hundert Kilometer entfernt von einem Marktflecken am Ende der Welt.... wo chinesische Kulis ihre Teelasten nach Tibet tragen.“

Das utopische Shangri-La liegt ausserdem am Fusse eines pyramidenartigen riesigen Schneeberges. 1997 fanden chinesische „Fachleute“ mit „Gewissheit“ heraus, dass das in Hiltons Roman beschriebene Shangri-La zweifelsfrei der Ort Zhongdian im Bezirk Degen ist. Vor zehn Jahren wurde der Ort offiziell auf Shangri-La umbenannt. Seither boomt hier der Tourismus. Zhongdian-Shangri-La ist eine hundskomune Kleinstadt mit 120 000 Einwohnern. die Altstadt ist kaum als solche zu erkennen, dermassen überfüllt ist sie von Souvenirshops, Hotels und Restaurants. Vom pyramidenartigen Schneeberg der einem auch auf riesigen Plakatwänden vor der Stadt bildlich angekündigt wird, ist weit und breit nichts zu sehen.

R O U T E